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Aktuelles Engagement

Geflüchtete über What’sApp betreut

Diese langen Wochen sind für alle schwer, für die einen weniger und für andere mehr. Stark betroffen sind Geflüchtete, die versuchen, in Deutschland Fuß zu fassen und dafür so viel wie möglich zu lernen. Mit dem verschärften Lockdown kommt das Lernen von Mensch zu Mensch zu kurz, während zugleich für den Online-Unterricht vielerorts die Voraussetzungen ungenügend sind. Was tun in diesem Dilemma? Schlaglichter auf die vielen Zwickmühlen am Beispiel von Ziegelstein.

Wie der Helferkreis Ziegelstein an Helfer aus Betrieben kam

NÜRNBERG – Diese langen Wochen sind für alle schwer, für die einen weniger und für andere mehr. Stark betroffen sind Geflüchtete, die versuchen, in Deutschland Fuß zu fassen und dafür so viel wie möglich zu lernen. Mit dem verschärften Lockdown kommt das Lernen von Mensch zu Mensch zu kurz, während zugleich für den Online-Unterricht vielerorts die Voraussetzungen ungenügend sind. Was tun in diesem Dilemma? Schlaglichter auf die vielen Zwickmühlen am Beispiel von Ziegelstein.

Susanne Mahlein ist Mitbegründerin und besonders aktives Mitglied des Helferkreises Ziegelstein, zudem Co-Koordinatorin des ehrenamtlichen Engagements. Sie blickt mit Sorge auf ihre Schützlinge, nachdem „alles lahmgelegt ist, alle direkten Treffen mit uns unmöglich geworden sind“. Das liege auch daran, dass manche Helfer über 70 oder berufstätig sind und das Risiko scheuen, sich und ihr Umfeld anzustecken.

Deshalb entschied ein Teil der rund 50 Aktiven zu pausieren, ein anderer Teil verlagerte die Kommunikation auf das Smartphone, berichtet Mahlein. Und das ist das Problem: Die Unterkunft in der Rathsbergstraße hatte bisher kein Wlan, was für diejenigen Bewohner schlimm ist, die keine Handyverträge abschließen können, weil ihnen das Bleiberecht fehlt. Da die Regierung von Mittelfranken hart blieb, sprang nun glücklicherweise der Verein Freifunk Franken ein und packte an.

Die Freifunker sind nicht die einzigen, die das Schicksal der Geflüchteten nicht kalt lässt. So hatte sich der Softwarespezialist Rogator gefragt, wie er sein soziales Engagement ausweiten könnte – und wurde in der direkten Nachbarschaft fündig. Die Unterkunft in der Andernacher Straße im Gewerbegebiet Ziegelstein liegt nur wenige Gehminuten vom Firmensitz der Rogator AG entfernt.Mitarbeitende wurden ermuntert, sich um Geflüchtete tätig zu kümmern – während der Arbeitszeit, also bezahlt. Ein knappes Dutzend Freiwilliger war schnell gefunden. Jeweils zu Dritt gingen sie in den Neubau, halfen bei den Hausaufgaben, betreuten das spielerische Lernen, gaben Jugendlichen Tipps zum Beruf und sprachen mit den Erwachsenen. „Die Kinder standen manchmal Schlange, total aufgeregt, dass sie in den Spielraum durften“, erzählt Jasmin Zitzmann, bei Rogator Projektleiterin für Mitarbeiterbefragungen. „Aufregend und ungewohnt waren die Einsätze aber auch für unsere Leute, wir sind ja keine Pädagogen, und manchmal wurde es wild.“ Das Engagement wirkte in der Firma auch nach innen, Flucht wurde zum Thema in Büros und auf Gängen. „Insgesamt bereichernd“, fügt sie hinzu. Überraschend fand Zitzmann bei der Studie, „dass die Helfer ihren persönlichen Beitrag zur Integration deutlich geringer einschätzen als den Beitrag der Angebote des Helferkreises. Viele stellen also ihr Licht ziemlich unter den Scheffel. Denn ohne die Helfer gäbe es die Angebote ja gar nicht.“ Auch die durchschnittlich aufgewendete Zeit für die ehrenamtliche Tätigkeit von rund vier Stunden pro Woche fand sie erfreulich-überraschend hoch.

Susanne Mahlein erzählt begeistert von der „Riesenhilfe durch Rogator. Für uns vom Helferkreis war es eine moralisch-seelische Unterstützung.“

Im Corona-März war dann abrupt Schluss mit den Besuchen. Nach Beratungen mit dem Koordinator des Helferkreises, Bernd Arnold, tat das Unternehmen sodann das, was es am besten kann, ja, was geradezu die DNA der Forscher ausmacht: Online-Befragungen. In diesem Fall hat Rogator die Ehrenamtlichen kostenlos befragt und dabei Erstaunliches gefunden.Die Ergebnisse wurden dem Helferkreis vor einigen Wochen vorgestellt.

Ein weiteres bemerkenswertes Resultat der Befragung: Digitale Welt hin oder her, die persönlichen Gespräche sowohl innerhalb des Helferkreises als auch mit den Geflüchteten stufen die Helfer mit Abstand am höchsten ein. Umso gravierender beschneidet die Pandemie mit ihren Sicherheitsregeln die Arbeit der Ehrenamtlichen. Zumal zwei Drittel der Befragten angaben, dass für sie die Treffen in der Gruppe wichtig bis sehr wichtig sind. Doch mit Corona können sie kaum noch stattfinden, genauso wenig wie offene Treffen im „Café O.K.“ im Kulturladen Ziegelstein oder Kochaktionen, Nähgruppen oder Sport. Hinzu kommt: Aus der Sicht der „Kümmerer“ sind direkte Kontakte eine bedeutende Stütze bei der Integration der Geflüchteten. Hierbei stehen Spracherwerb, Ausbildung/Beruf und persönliche soziale Kontakte ganz obenan.

Und was sagen die Geflüchteten selbst? Einer berichtete in diesem Herbst „Seit Corona ist alles schlimm, wir müssen immer zu Hause bleiben, Ämter sind geschlossen. Wir können nicht lernen (weil keine Kurse stattfinden) und nicht arbeiten. Aber gut ist, dass wir kein Corona haben!“ Was auch andere besonders schwierig fanden: Alle Kinder waren zu Hause, und sie verstanden nicht, warum sie nicht zu ihren Freunden durften. Eine Mutter nannte als ihre größte Sorge, dass ihre Kinder im Unterricht zurückfielen. Zudem fehlte in der Unterkunft ein Rückzugsraum. Auf der anderen Seite waren viele Geflüchtete glücklich, weil niemand sie in dieser Zeit in ihr Heimatland zurückschicken konnte. Einer erzählte, dass er vermehrt Rassismus erlebe.

Von den rund 50 aktiven Mitgliedern – zu 71 Prozent weiblich – sind ungefähr zwei Drittel von Anfang an dabei, nämlich seit der Gründung des Helferkreises 2016. Die meisten konzentrieren sich auf die Betreuung einzelner Familien oder Singles.

Eine der Pionierinnen ist Sabine Eichenmüller. Sie kümmert sich seit fast fünf Jahren um eine iranische Familie, angefangen beim Deutschunterricht für die  Mutter über die Begleitung zum Ausländeramt bis hin zum gemeinsamen Abklappern von Wohnungsangeboten. Letzteres ist geschafft. Die Familie konnte die Gemeinschaftsunterkunft in Ziegelstein verlassen und lebt in einer eigenen Drei-Zimmer-Wohnung. Erfreulich zudem: Die Frau hat eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Leider ist ihr Ehemann seinen Job auf Probe nach einem Monat wieder los und wartet noch auf sein Gehalt. Sabine Eichenmüller beobachtet Fortschritte genauso wie Rückschläge. „Ich glaube aber, die Familie kriegt ihr Leben hin.“

Noch in diesem Sommer – so Mahlein – seien sieben neue Helfer zum Kreis hinzugestoßen. Und sie sinniert über die Zukunft. Ein Musiker aus ihren Reihen hat ein Lied komponiert mit der Zeile: ,Wenn das vorbei ist, dann feiern wir ein Fest‘. „Darauf freuen wir uns alle“, sagt die Helferin und lädt weitere Mitmenschen mit Herz ein, dann mit anzupacken und mit zu feiern, sobald es die Entwicklung der Pandemie erlaubt.

ag